Warum wir andere Menschen brauchen...
- Yvonne Noll
- 12. Apr. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Mai 2024
Was wäre, wenn du der letzte und einzige Mensch auf Erden wärst?
Diese Frage hab ich mir gestellt. Was wäre, wenn niemand außer mir noch auf der Erde wäre? Kein anderer Mensch. Wenn ich ganz alleine hier wäre. Ohne den Austausch mit einer anderen Person. Ohne Ansprache. Ohne Liebe. Ohne Bestätigung. Ohne Berührung durch eine andere Person. Ohne Zärtlichkeiten. Ich muss niemandem gefallen, niemandem außer mir selbst entsprechen. Was, oder besser wer, wäre ich dann? Wie wäre ich dann? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung und bin auch zu keiner Antwort gekommen. Denn ich bin heute der Mensch, der ich bin, weil mich Menschen geprägt, geformt und beeinflusst haben. Jede Begegnung im Leben hinterlässt Spuren in uns. Jede einzelne. Wären wir in der Vergangenheit anderen Menschen begegnet, hätten andere Eltern gehabt, andere Freunde und Familie, so wären wir heute mit Sicherheit komplett andere Menschen.

Sich selbst immer wieder neu definieren
Der Lebensweg eines Menschen ist ein Weg des Suchens und Findens, so scheint es manchmal. Doch grundsätzlich, und das dürfen wir uns immer wieder bewusst machen, ist die Seele vollkommen. Durch die Inkarnation in einen menschlichen Körper jedoch und durch den Einfluss des Geistes, der Psyche, der Epigenetik, der Gesellschaft, der Erziehung und der Kultur werden viele Aspekte davon einfach verschluckt. Da sind sie, jedoch schlummern sie tief in uns. Wir selbst dürfen dann, im Laufe unseres Lebens, entscheiden, welche Eigenschaften und Anteile wir zurückerobern möchte. Wir dürfen uns immer neu definieren und überlegen, wer wir sein möchten und wie wir sein möchten.
Wir finden uns in anderen Menschen...
Meine Erkenntnis ist, dass wir durch die Begegnung mit Menschen entweder verborgene Aspekte freilegen und heilen können, oder aber, dass bekannte und bewusste Aspekte in die Dunkelheit verschwinden. Dies geschieht durch Verletzungen. Unsere Psyche lernt dazu um nicht wieder in ähnliche Situationen zu kommen. Das sind klassische Traumareaktionen, wie wir sie kennen.
Und dann gibt es da diese Menschen, welchen wir begegnen, die in uns ein Rütteln und ein Beben erzeugen. Anfangs mag es sich anfühlen wie ein innerer Sturm. Plötzlich kommen Schmerz und Angst hoch und andere Schattenaspekte, welche uns bisher nicht bewusst waren. Wir haben das Gefühl überfordert und hilflos zu sein. Wissen nicht, was los ist mit uns. Dies sind Anzeichen dafür, dass verborgene Aspekte in uns zum Vorschein kommen wollen. Geheilt und transformiert werden möchten und die Zeit dafür reif ist. Und nun ist es an uns zu entscheiden - bleiben wir im Feuer stehen, nehme diese Herausforderung an und eigenen uns eine neue Stärke und Eigenschaft an, oder fliehen wir. Wenn wir bleiben bedeutet es zu fühlen - wahrhaftig, tief und echt. Sich verletzlich und vollkommen offen zu zeigen - in erster Linie sich selbst gegenüber und im nächsten Schritt auch anderen Menschen gegenüber.
Wenn wir bleiben bedeutet es Weiterentwicklung für uns. Wachstum. Ein anderer Mensch hat als Trigger fungiert, oder als Spiegelfläche für uns gedient, um uns auf verschüttete Anteile in uns aufmerksam zu machen. Dadurch hat er uns das Geschenk der Selbstfindung überreicht. Erst durch diesen anderen Menschen haben wir uns ein Stück weit wieder selbst gefunden. Haben uns ein Stück von uns selbst zurückgeholt und sind dem ursprünglichen Zustand der Vollkommenheit unserer Seele wieder ein Stück näher gekommen.

Die Irrelevanz der Persönlichkeitsentwicklung
Wenn man jedoch ganz alleine auf der Welt wäre, würde das arbeiten an eigenen Themen keinen wirklichen Sinn mehr ergeben. Zumindest der Großteil würde sich erübrigen. Wenn es keine Spiegel mehr in menschlicher Form gibt, würden sehr viele Schatten im Verborgenen bleiben - blockierende Verhaltensweisen, Selbstsabotage, Selbstwertthemen, Eitelkeit, Eifersucht, u.v.m. Erst durch soziale Kontakte und zwischenmenschliche Beziehungen wird der Großteil der Schatten in uns getriggert und es entsteht Handlungsbedarf. Der Bedarf an sich selbst zu arbeiten, weil wir oftmals merken, dass wir ansonsten nicht weiterkommen im Leben...immer wieder die selben Fehler machen...uns blockieren und sabotieren.
Wären wir alleine auf der Erde, würde es jedoch niemanden interessieren und es würde sich niemand an uns stören. Ganz gleich wie man dann wäre - man wäre richtig, genau so wie man ist. Diese Meinung vertritt die spirituelle Szene ja grundsätzlich generell - man ist gut, genau so wie man ist. Aber ist man das wirklich? Wohl kaum. Zumeist passt man nicht in die Welt, so wie man ist. Zumindest dann, wenn man auf andere Menschen trifft. Und dann kommen all unsere Ängste und Sorgen hoch. Bin ich gut genug? Kann ich genügen, so wie ich bin? Bin ich liebenswert? Und ganz oft, auch wenn man weiß, dass es Bullshit ist, ist das Gefühl das man hat ein "nein". Und dann leiden wir und wir beginnen zu kämpfen, oder wir fliehen. Weil wir nicht wissen, wie wir sonst damit umgehen sollen. Weil wir es nicht gelernt haben...überfordert sind...verletzt sind.

Der Wunsch nach Liebe
Kann man sich selbst genug lieben, um ohne der Liebe von Außen auszukommen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Und ich denke, dass die Antworten, je nachdem, wen man fragt, sehr unterschiedlich ausfallen würden. Manche Menschen, aber das sind wirklich die aller wenigsten auf dieser Welt, sind weit genug in ihrer seelischen Entwicklung, als das sie auf das Lieben und geliebt werden verzichten können. Im Grunde ist es doch so, dass hinter den allermeisten Aktionen von uns Menschen der Wunsch nach Liebe steckt. Wir wollen geliebt werden, akzeptiert werden und genau deswegen tun wir das, was wir tun und verhalten uns so, wie wir uns verhalten.
Der Sinn des Seins
In der spirituellen Szene hört man andauernd, dass man alleine glücklich sein muss. Das man sich selbst über alle Maße lieben muss, um auch einen Menschen in sein Leben zu ziehen, der einen wirklich liebt. Man soll quasi idealerweise "fertig sein" mit seiner Entwicklung, bevor man diesen einen tollen Menschen trifft, mit dem man dann wirklich glücklich sein kann. Ich sehe das anders. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen das aller größte Wachstumspotenzial haben. Durch andere Menschen in unserem Leben erfahren wir uns selbst tiefer. Viel tiefer. Und ich finde, dass dem Leben auf Erden Wert verliehen wird, durch das gemeinsame Sein mit andern Seelen. Durch den Austausch, durch gemeinsames erfahren und erleben - sich selbst und einander. Durch das erkennen der eigenen Schatten, Potentiale, bereichernde Aspekte, Talente und all das, was einen ausmacht. Und all das erhält auch nur durch das Miteinander seine Bedeutung.
Die Erleuchtung als Ziel? Wohl kaum...
Diese "spirituelle Erleuchtung", was ja in der Szene oftmals als Ziel angesehen wird, ist meiner Meinung nach, als Mensch, nicht erstrebenswert. Wach sein - ja, aber wenn man erleuchtet ist, stirbt man. Man erhebt sich über die weltlichen Empfindungen und es ist nicht mehr notwendig zu fühlen. Wir sind als Erdenwesen hier inkarniert. Mit Gefühlen, Emotionen, körperlichen Wahrnehmungen, Empfindungen, Gelüsten, Bedürfnissen, Träumen und noch so vielem mehr. All das macht das Leben als Mensch lebenswert. Es ist die Seele, dich sich die Erleuchtung als Ziel setzt, ja. Aber es ist nichts, dass man als "normaler" Mensch für sich als Ziel haben sollte. Es genügt wach zu sein. Bewusst zu sein - mit sich selbst und seiner Umwelt. Wir dürfen akzeptieren, solange wir keine Mönche oder Yogis sind, die Freude daran finden, stillschweigend, alleine, dauerhaft meditierend in einem Tempel zu sitzen...und nichts mehr wollen außer uns selbst...solange werden wir andere Menschen "brauchen" in unserem Leben. Weil wir nun mal soziale Wesen sind. Wir sind Mensch.

Warum wir andere Menschen brauchen und es okay ist
Ja, es sollte nicht so sein, dass wir einen anderen Menschen "brauchen", damit es uns gut geht und wir Glück empfinden können. Wir dürfen nicht abhängig sein von anderen und dürfen nicht erwarten, dass ein anderer Mensch unsere Bedürfnisse erfüllt. Aber wir brauchen Menschen um zu wachsen. Um uns wahrhaftig weiterzuentwickeln. Um unsere tiefsten Schatten zu erkennen. Um körperliche, sinnliche und leidenschaftliche Erfahrungen zu machen. Und um Liebe zu geben und geliebt zu werden. Menschen, welche die besten, aber auch die schlechtesten Seiten in uns hervorbringen. Menschen, die zu uns stehen, damit wir die schmerzlichsten Erfahrungen durchstehen und ertragen können. So wachsen wir zusammen und entwickeln uns in einer Art und Weise, die tiefer geht, als es sonst je möglich wäre.
Wir sind hier um uns gegenseitig zu unterstützen, zu fördern und zu fordern
Mensch zu sein ist alles andere als leicht. Es kann sogar verdammt hart sein. Aber wir sind nicht alleine hier und das ist unser großes Geschenk als inkarnierte Seele auf der Erde. Wir sind hier zusammen und es ist keine Schande die eigene Entwicklung und Entfaltung mit anderen zusammen zu vollziehen. Ganz im Gegenteil. Es ist genau so gedacht. Wir haben Verabredungen und Vereinbarungen getroffen bevor wir hierher gekommen sind. Wir haben uns gegenseitige Unterstützung zugesagt auf unserem Entwicklungsweg - positive und erleichternde, genau so wie schmerzliche und fordernde. Nichts davon ist besser oder schlechter als das andere. Die Seele wertet nicht. Es sind bloß Erfahrungen. Erfahrungen, die wir alleine nicht machen können. Darum sind wir zusammen hier.
Selbstliebe als Basis für Tiefgang
Klar ist, wenn wir uns selbst lieben, wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Träume und Werte kennen und danach leben, haben wir auch die beste Basis dafür, unsere Schatten willkommen zu heißen. Sie anzunehmen und zu akzeptieren. So werden wir von ihnen nicht mehr komplett unerwartet getroffen und nicht mehr von ihnen gelenkt. Wir interagieren mit ihnen im Einklang. Akzeptieren sie als Teil von uns. So wird wahres Glück und Frieden in uns möglich. Dadurch öffnen wir uns für die Geschenke des Lebens, wenn wir aufhören ständig gegen uns selbst zu kämpfen. Wir lernen in das Leben zu vertrauen, können die Potentiale erkennen, welche Beziehungen mit sich bringen. Wir lernen anzunehmen, dass wir Liebe verdient haben, ja, dass wir Liebe sind. Wir erkennen, dass alles genau richtig ist, so wie es ist. Wir können dann den Fokus auf wahrhaftige Erfüllung und Bereicherung setzen, anstatt auf Verdrängung, Flucht, Selbstsabotage und Unzufriedenheit.

Liebe ist nicht gleich Liebe
Ganz gleich was andere darüber denken und auch wissend, dass in der spirituellen Szene es oft anders gesehen wird... Zwischen der Liebe zu sich selbst (Selbstliebe), der Liebe zur Natur, dem Leben...oder aber der Liebe zu einem anderen Menschen (fleischliche Liebe, wenn man so möchte) - da ist ein Unterschied. Ein sehr großer würd ich sogar sagen. Diese pure Liebe zwischen zwei Seelen, inkarniert in einen menschlichen Körper, ermöglicht Erfahrungen und Empfindungen, wegen der wir Seelen hier sind. Weil es etwas so besonders und einzigartig ist in unserem Universum. Es ist überaus spirituell und auch wieder nicht. Es gibt nichts, dass echter für uns Menschen ist und dennoch wissenschaftlich unerklärbar. Diese pure Liebe, die sich ausdrückt, wenn sich zwei Menschenwesen verbinden, erfahren, erleben, spüren, fühlen und begehren... Wahrhaftige Nähe und Intimität - auf allen Ebenen (körperlich/physisch, psychisch, emotional, energetisch und seelisch). Es ist magisch. Und glaubt mir, ich liebe - mich selbst, das Leben, Mutter Natur, die Berge, die Jahreszeiten, leckeres Essen, Musik, und noch so vieles mehr - und das wirklich von ganzem Herzen. Aber einen Menschen zu lieben...und zurück geliebt zu werden...etwas Unbeschreiblicheres gibt es wohl nicht. Man zeige mit etwas, dass schöner ist.
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